Wir haben mit dem ehemaligen Rennrollstuhl-Leistungssportler Alhassane Baldé über seine Geschichte und seine Karriere gesprochen.
Alhassane, Du blickst schon jetzt auf eine bewegte Lebensgeschichte zurück. Lass uns ein wenig daran teilhaben.
So „normal“ sich meine Geschichte für mich anfühlt, so kann ich aber gleichzeitig auch verstehen, dass sie für Außenstehende ziemlich bewegend ist. Ich wurde in Guinea, Westafrika, als Zwillingskind geboren, was die Ärzte aber nicht erkannten. Niemand wusste, dass meine Mutter nicht mit einem, sondern mit zwei Kindern schwanger war. Während mein erstgeborener Bruder gesund auf die Welt kam, wurde ich bei der Geburt verletzt mit der Folge der Lähmung. Glück im Unglück war, dass ich einen in Deutschland lebenden Onkel habe, der mir dort eine ärztliche Behandlung ermöglichte. In Guinea hätte ich nicht überlebt. So wurde mir quasi ein neues Leben geschenkt und mit fünf Jahren adoptierten mich mein Onkel und meine Tante. Ich erhielt einen Kinderrollstuhl und besuchte Kindergarten und Schulen in Deutschland. Durch den Leistungssport wurde mir dann ermöglicht, viel von der Welt zu sehen. Ein echtes Privileg. Und zurückblickend ein erfülltes Leben, trotz aller Einschränkungen.
Du hast in Deinem Leben neben den Erfolgen auch Rückschläge hinnehmen müssen, sportlich wie auch privat. Was waren die einschneidendsten Erfahrungen und wie bist Du mit diesen Erfahrungen umgegangen?
Erfolge wie Rückschläge gibt es wohl in jedem Leben, das gehört einfach immer mit dazu. Bei mir war das sehr ausgeprägt auf der sportlichen Ebene. Wenn einmal der Erfolg da ist, will man mehr. Das Umfeld verändert sich und der Druck wächst. Der eigene Ehrgeiz verhilft zu Erfolgen, sorgt aber auch bei Misserfolgen dafür, dass man richtig down ist. Auf der persönlichen Ebene gab es Zeiten, in denen ich sehr mit meiner Behinderung gehadert habe. Das war vor allem in der Pubertät der Fall, ich besuchte auf eigenen Wunsch eine normale Regelschule. In meiner Schulzeit war das Thema Inklusion noch nicht in den Köpfen, behinderte Menschen
Du hast Dir zum Ziel gesetzt, die Themen Diversität und Inklusion noch mehr Menschen zugänglich zu machen. Erzähl uns doch etwas zu dem Projekt, dem Du Dich aktuell mit zwei Partnern widmest. Wie ist die Idee entstanden und was bietet ihr an?
Ich habe mit meinem Bruder und meinem besten Freund im letzten Jahr ein Startup gegründet. Vorgeschichte ist, dass ich während meiner Zeit als Leistungssportler eine Menge Anfragen von Firmen erhalten habe, sowohl für Werbedeals als auch für Vorträge. Allerdings ist der Vermarktungsbereich bei Sportlern mit Behinderung bei weitem noch nicht so weit wie der bei Sportlern ohne Einschränkungen. Mein Bruder hatte mich während meiner Laufbahn gemanagt und hat zudem eine sehr kreative Ader. Mein bester Freund kommt aus der Spielervermittlung im Fußball. Und ich habe durch meine Laufbahn ein sehr großes Sportlernetzwerk. Wir nennen uns „The Podium“ und haben uns zum Ziel gesetzt, vor allem Para Sportlern eine Plattform zu bieten, auf der sie sichtbar sind, die Möglichkeit haben, mit Unternehmen in Kontakt zu treten und Unterstützung zu fairen Rahmenbedingungen erhalten. Mittlerweile erhalten wir sogar Anfragen aus der Modebranche und von großen DAX Unternehmen, die Diversität und Inklusion fördern und kommunizieren wollen. Unser Ziel ist, dass irgendwann kein Unterschied mehr gemacht wird, ob man ein behinderter oder nicht behinderter Leistungssportler ist.
Als Leistungssportler und gleichzeitig Berufstätiger bist Du sicherlich häufig mit dem Thema Stress in Kontakt gekommen. Wie bist Du damit umgegangen?
Stress ist ein wichtiger Faktor, der oft nicht genug berücksichtigt wird. Stress hat mich zum einen motiviert, Höchstleistung zu bringen, gerade kurz vor Abgabefrist in der Schulzeit (lacht). Im Leistungssport lernt man, mit Stress umzugehen, weil man diesem immer wieder aufs Neue ausgesetzt ist. Vor großen Wettkämpfen, wenn der Startschuss fällt, bei Unzufriedenheit, Kritik des Umfelds oder Misserfolgen. Reden mit vertrauten Personen hat mir zum einen sehr geholfen, mit dem Stress umzugehen. Zum anderen aber auch das Visualisieren, was man alles bereits erreicht hat und dass man sein Bestes gegeben hat. Im Alltag habe ich aber auch andere Aspekte, um mit Stress umzugehen: Ruhephasen, keine Ablenkung, beruhigende Musik und Zeit im Wald verbringen. Sich spüren und sich auf sich zurückbesinnen, das habe ich mittlerweile gelernt.
Im Rahmen von Welt- und Europameisterschaften und den Paralympics hast Du sicherlich viele Hotels kennengelernt. Was gibt für Dich den Ausschlag bei einem Hotel, um sich wohlzufühlen?
Ich habe in der Tat bei Trainingslagern und Wettkämpfen unzählige Hotels kennengerlernt, ob in Europa, Australien, Dubai, Japan oder den USA. Ich habe mich immer wohlgefühlt, habe es wertgeschätzt, auf Reisen zu gehen und verschiedene Kulturen kennenzulernen. Für mich ist neben einem guten Bett mit einer kuscheligen Decke natürlich die Barrierefreiheit wichtig, auch wenn ich das Privileg habe, ein sehr agiler Rollstuhlfahrer zu sein und fehlende Barrierefreiheit mitunter auch ausgleichen kann. Badewanne und Aussicht sowie ein gutes Frühstück und das entsprechende Ambiente machen mich zusätzlich glücklich. Aber auch Menschen, die mitdenken, flexibel sind und mit mir in den persönlichen Kontakt treten, waren in den Hotels sehr schöne Erfahrungen.
Und zu guter Letzt: Was sind Deine Lieblingsorte im Umkreis der Rheinstädte für die Auszeit zwischendurch?
Ich mag es, mit meinem Bike am Rhein entlang zu fahren, die Wege sind meistens gut ausgebaut. Und ich liebe die Aussicht vom Drachenfels, den Blick in die Natur und in die Weite, gerade bei einem schönen Sonnenuntergang.
ALHASSANE BALDÉ
Geboren ist Alhassane Baldé 1985 als zweitgeborener Zwilling in Conakry, Guinea. Durch einen Ärztefehler bei der Geburt ist er querschnittsgelähmt. Ab 1996 erhält er eine professionelle Ausbildung als Rennrollstuhlsportler. Es folgen die ersten Trainingslager und Wettkämpfe im In- und Ausland mit zahlreichen Gold-, Silber- und Bronzemedaillen. 2004 startet er als Athlet für Deutschland bei den Paralympics in Athen, 2008 in Peking, 2016 in Rio sowie 2021 in Tokio. 2021 erklärt Baldé seinen Rücktritt vom Leistungssport. Baldé hat an der Hochschule der Bundesagentur für Arbeit Duales Arbeitsmarktmanagement studiert und ist seitdem bei der Bundesagentur beschäftigt. Unter anderem berät er hier zu den Themen Diversität und Inklusion. Zudem ist er Gesicht mehrerer Kampagnen, u.a. der Aktion Mensch-Kampagne #OrteFürAlle.
Das Interview ist erschienen in unserem Magazin Auszeit-Momente 2023